Beitrag 13: Wenn der Schmerz zur Dauerschleife wird – Der Teufelskreis aus chronischem Schmerz und Psyche
Für eine große Anzahl von Rollstuhlnutzern ist Schmerz ein ständiger, unwillkommener Begleiter. Ob es sich um neuropathische Schmerzen (Nervenschmerzen) handelt, die aus der ursprünglichen Verletzung resultieren, oder um muskuloskelettale Schmerzen in Schultern, Armen und Händen durch die jahrelange Belastung – chronischer Schmerz ist mehr als nur ein unangenehmes körperliches Gefühl. Er ist ein Dieb, der Energie, Lebensfreude und Schlaf stiehlt und einen Teufelskreis in Gang setzt, der die psychische Gesundheit massiv angreift.
Der Teufelskreis von Schmerz und Psyche
Chronischer Schmerz und psychische Gesundheit sind untrennbar miteinander verbunden. Sie beeinflussen sich gegenseitig in einer zermürbenden Abwärtsspirale:
Schmerz führt zu psychischer Belastung: Ständige Schmerzen sind anstrengend. Sie erschweren die Konzentration, machen reizbar und rauben die Energie für soziale Aktivitäten. Die Welt wird kleiner, weil man Aktivitäten meidet, von denen man weiß, dass sie den Schmerz verstärken. Dies führt zu Isolation, Frustration und Hoffnungslosigkeit. Das Gefühl, dem Schmerz hilflos ausgeliefert zu sein, ist ein idealer Nährboden für Angststörungen und Depressionen.
Psychische Belastung verstärkt den Schmerz: Umgekehrt hat unsere Psyche einen enormen Einfluss auf die Schmerzwahrnehmung. Wenn wir depressiv, ängstlich oder gestresst sind, ist unser Nervensystem in einem Zustand der „Alarmbereitschaft“. Unsere „Schmerzfilter“ im Gehirn sind weniger wirksam. Die Schmerzsignale werden quasi lauter gedreht. Eine Depression kann dazu führen, dass ein moderater Schmerz als unerträglich empfunden wird. Man spricht hier von der „Schmerz-Angst-Spannungs-Spirale“: Der Schmerz erzeugt Angst vor dem Schmerz, diese Angst führt zu Muskelverspannungen, und die Verspannungen verstärken wiederum den ursprünglichen Schmerz.
Die psychologischen Folgen der Schmerzkrankheit
Wenn der Schmerz chronisch wird, verändert er nicht nur den Moment, sondern die gesamte Persönlichkeit und Lebenseinstellung. Man entwickelt sich von einer Person, die Schmerzen *hat*, zu einem „Schmerzpatienten“, dessen ganzes Denken und Fühlen um den Schmerz kreist. Dies hat tiefgreifende Folgen:
- Katastrophisieren: Man neigt dazu, in Schmerz-Szenarien zu denken und das Schlimmste zu erwarten („Dieser Schmerz wird nie wieder weggehen“, „Ich werde das nicht aushalten“).
- Hyperfokus: Die gesamte Aufmerksamkeit richtet sich auf den Körper und die Schmerzsignale. Man scannt den Körper ständig nach Schmerzen ab, was diese nur noch präsenter macht.
- Sozialer Rückzug: Man sagt Verabredungen ab, weil man sich nicht gut genug fühlt oder Angst hat, anderen zur Last zu fallen. Die Isolation verstärkt die negativen Gefühle.
- Schlafstörungen: Schmerzen machen das Ein- und Durchschlafen schwer. Schlafmangel wiederum senkt die Schmerzschwelle und beeinträchtigt die Stimmung – ein weiterer Kreislauf.
Ausbrechen aus dem Teufelskreis: Multimodale Schmerztherapie
Die Behandlung von chronischem Schmerz erfordert einen ganzheitlichen Ansatz, der Körper und Seele gleichermaßen berücksichtigt. Eine rein medikamentöse Behandlung ist oft nicht ausreichend. Das Konzept der multimodalen Schmerztherapie kombiniert verschiedene Bausteine:
1. Medizinische Behandlung: Eine sorgfältige ärztliche Abklärung und eine angepasste medikamentöse Therapie (die oft auch Antidepressiva einschließt, da diese die Schmerzverarbeitung im Gehirn beeinflussen können) sind die Basis.
2. Physiotherapie und Bewegung: Auch wenn es paradox klingt: Angepasste Bewegung ist eine der besten Waffen gegen Schmerz. Sie verbessert die Durchblutung, löst Verspannungen und setzt körpereigene Schmerzmittel (Endorphine) frei. Es geht um sanfte, regelmäßige Aktivität, nicht um Überlastung (Pacing).
3. Psychotherapie: Hier lernt man, den Teufelskreis zu durchbrechen. In der kognitiven Verhaltenstherapie identifiziert man schmerzverstärkende Gedanken (wie das Katastrophisieren) und ersetzt sie durch hilfreichere. Man lernt, die Aufmerksamkeit bewusst vom Schmerz wegzulenken.
4. Entspannungsverfahren: Techniken wie die Progressive Muskelentspannung nach Jacobson, Autogenes Training, Meditation oder Achtsamkeitsübungen (MBSR – Mindfulness-Based Stress Reduction) helfen, das überreizte Nervensystem zu beruhigen und die Muskelspannung zu senken. Achtsamkeit lehrt, den Schmerz zu beobachten, ohne sich von ihm überwältigen zu lassen.
5. Akzeptanz- und Commitment-Therapie (ACT): Ein moderner Ansatz, der darauf abzielt, den Kampf gegen den Schmerz aufzugeben. Anstatt all seine Energie darauf zu verwenden, den Schmerz zu eliminieren (was oft unmöglich ist), lernt man, den Schmerz als Teil des Lebens zu akzeptieren und seine Energie auf die Dinge zu richten, die einem wirklich wichtig sind (Werte). Man fragt nicht mehr: „Wie werde ich den Schmerz los?“, sondern: „Wie kann ich ein erfülltes Leben *mit* dem Schmerz führen?“.
Der Umgang mit chronischem Schmerz ist eine lebenslange Aufgabe. Es geht nicht immer darum, den Schmerz komplett zu besiegen, sondern darum, die Kontrolle über das eigene Leben zurückzugewinnen und nicht mehr dem Schmerz die Herrschaft zu überlassen. Es ist der Weg von einem passiven Erleiden zu einem aktiven Management, bei dem die psychische Stärke die wichtigste Ressource ist.
#ChronischerSchmerz, #Schmerzbewältigung, #PsychischeGesundheit, #Rollstuhl, #PainManagement, #Teufelskreis, #Psyche, #Schmerzkreislauf, #MultimodaleSchmerztherapie, #Achtsamkeit, #MBSR, #KognitiveVerhaltenstherapie, #Depression, #Angst, #NeuropathischerSchmerz, #LebenMitSchmerzen, #MentalHealth, #Selbsthilfe, #Pacing, #Akzeptanz, #ACT, #NichtAufgeben