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Beitrag 9: „Du bist nicht allein!“ – Die heilende Kraft des Peer Supports

Therapeuten sind geschult, Ärzte haben das Fachwissen, und die Familie gibt Liebe und Unterstützung. Doch es gibt eine Form der Hilfe, die durch nichts davon ersetzt werden kann: den Austausch mit Menschen, die genau dasselbe durchmachen. Dieses Prinzip nennt sich „Peer Support“ – die gegenseitige Unterstützung von Menschen mit ähnlichen Lebenserfahrungen. Für Rollstuhlnutzer ist dieser Austausch oft ein Wendepunkt auf dem Weg zur Akzeptanz und ein unschätzbarer Anker für die psychische Gesundheit.

Warum ist Peer Support so wirkungsvoll?

Die Magie des Peer Supports liegt im Gefühl des Verstandenwerdens. Man kann einem Therapeuten stundenlang versuchen zu erklären, wie sich die Frustration über eine nicht barrierefreie Toilette oder der Schmerz über einen mitleidigen Blick anfühlt. Ein anderer Rollstuhlnutzer wird nur nicken und sagen: „Kenne ich.“ In diesem Moment der geteilten Erfahrung liegt eine immense Entlastung. Man fühlt sich nicht mehr allein, nicht mehr „verrückt“ oder „überempfindlich“. Die eigenen Gefühle werden validiert und normalisiert.

Peer Support bietet etwas, das professionelle Hilfe oft nicht kann: gelebte Erfahrung. Ein Peer kann sagen: „Ich hatte am Anfang auch schreckliche Angst vor Kopfsteinpflaster. Versuch mal, das Gewicht so und so zu verlagern, das hilft.“ oder „Für die Partnersuche hat mir diese spezielle App geholfen.“ Es sind die kleinen, praktischen Tipps und Tricks für den Alltag, die oft von unschätzbarem Wert sind. Peers sind lebende Beweise dafür, dass ein gutes Leben im Rollstuhl möglich ist. Sie werden zu Vorbildern und Hoffnungsspendern, nicht weil sie perfekt sind, sondern weil sie die gleichen Kämpfe durchgestanden haben und trotzdem ihren Weg gefunden haben.

Verschiedene Formen von Peer Support

Peer Support kann in vielen verschiedenen Formen stattfinden, sodass für jeden Charakter und jede Lebenssituation etwas dabei ist:

1. Klassische Selbsthilfegruppen: Der regelmäßige, persönliche Austausch in einer Gruppe, die von einem erfahrenen Peer oder einem Sozialarbeiter geleitet wird. Hier kann man in einem geschützten Rahmen offen über Ängste, Sorgen und Erfolge sprechen. Der direkte Kontakt und die Gruppendynamik können sehr heilsam sein.

2. Peer Counseling (Eins-zu-Eins-Beratung): Besonders in der Reha-Phase ist das „Peer Counseling“ ein etabliertes und äußerst wirksames Konzept. Ein erfahrener Rollstuhlnutzer besucht einen „Frischling“ am Krankenbett oder zu Hause. Er beantwortet die tausend Fragen, die einem auf der Seele brennen – von der Sexualität über den Autoumbau bis hin zur Berufswahl. Dieser Besuch kann mehr Hoffnung und Perspektive geben als jedes Gespräch mit einem Arzt.

3. Online-Communities und Foren: Das Internet hat die Möglichkeiten für Peer Support revolutioniert. In spezialisierten Foren, Facebook-Gruppen oder auf Instagram-Kanälen kann man sich rund um die Uhr mit Menschen aus der ganzen Welt austauschen. Dies ist besonders wertvoll für Menschen in ländlichen Gebieten, wo es keine lokalen Gruppen gibt, oder für diejenigen, die (noch) nicht die Kraft haben, das Haus zu verlassen. Hier findet man Rat für die spezifischsten Probleme – sei es die Suche nach einem Ersatzteil für ein bestimmtes Rollstuhlmodell oder der Umgang mit einer seltenen Begleiterkrankung.

4. Informelle Netzwerke und Freundschaften: Oft entwickelt sich der wertvollste Peer Support aus informellen Kontakten, die man beim adaptiven Sport, bei Reha-Messen oder über gemeinsame Bekannte knüpft. Diese Freundschaften basieren auf einem tiefen, grundlegenden Verständnis füreinander und gehen weit über das Thema Behinderung hinaus.

Was Peer Support nicht ist

Es ist wichtig zu verstehen, dass Peer Support keine Psychotherapie ersetzt. Peers sind keine ausgebildeten Therapeuten. Sie können und sollen keine klinischen Depressionen oder schwere Traumata behandeln. Peer Support ist eine Ergänzung, keine Alternative zur professionellen Hilfe. Ein guter Peer wird sogar dazu ermutigen, sich bei tiefergehenden psychischen Problemen professionelle Unterstützung zu suchen. Es geht auch nicht darum, im Selbstmitleid zu versinken oder sich gegenseitig nur die schlimmsten Geschichten zu erzählen. Eine gute Peer-Dynamik ist lösungsorientiert, ermutigend und zukunftsgewandt. Es geht darum, sich gegenseitig zu stärken und voneinander zu lernen.

Wie finde ich Peer Support?

Der Weg zu Peer Support führt oft über Reha-Kliniken, die entsprechende Programme anbieten. Auch große Behindertenverbände (z.B. in Deutschland die Fördergemeinschaft der Querschnittgelähmten, FGQ) oder spezifische Selbsthilfeorganisationen sind hervorragende Anlaufstellen. Eine einfache Online-Suche nach „Selbsthilfegruppe Rollstuhl [deine Stadt]“ oder „Forum für Querschnittlähmung“ kann ebenfalls erste Treffer liefern.

Der Schritt, Kontakt aufzunehmen, erfordert Mut. Aber die Erfahrung, endlich mit jemandem zu sprechen, der wirklich versteht, was in einem vorgeht, ist oft der Beginn eines neuen, selbstbewussteren Kapitels im Leben. Man erkennt: Man ist Teil einer starken Gemeinschaft, und gemeinsam ist man weniger allein.

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